In Libyen wurde vom Parlament die neue Regierung bestätigt. Das sieht nach einer recht normalen und ins Langweilige tendierenden Meldung aus, allerdings steht dahinter ein schwer erkämpfter Sieg von gegen den Einfluss des Katar arbeitenden Kräften der neuen Elite des Landes. Was im Kontext der ganzen Opferländer des “Arabischen Frühling” noch bemerkenswerter ist: es handelt sich dabei im Wesentlichen um Kräfte, die sich in keiner Weise aktiv religiös positionieren, sprich: weltlich sind. Interfax zitiert dabei den neuen libyschen Premier Ali Seidan mit den Worten, der neuerliche Erfolg bei der Regierungsbildung komme daher, dass “die Balance in einer gleichmäßigen geographischen Vertretung der unterschiedlichen Regionen” gefunden wurde, damit man so “die früheren Fehler” vermeide.
Nur am Rande: es ist eine andere Sache, dass wieder einige Ministerposten beanstandet wurden. Unter den Ministern der neuen Regierung ist übrigens Sami Mustafa Al-Saadi, ein Kumpel von Abdel Hakim Belhadsch, als “Minister für Märtyrer und Vermisste”.
Es hat erst einmal mehr Sinn, sich auf den vom Premier zitierten Inhalten von “Balance” und “frühere Fehler” zu konzentrieren. Der frühere Premier Schagur ist genau daran gescheitert, dass er keine Balance, sondern seinen Willen (natürlich nicht seinen, sondern den der Sponsoren) gegen die Interessen der Stämme und Regionen durchsetzen wollte. Wenn man ein offenkundiger Vertreter pro-katarischer Gruppierungen bzw. der Salafiten ist, hat man es selbstredend schwer, innerhalb der zahlreichen Stämme eine Balance zu finden. Es ist offensichtlich, dass die Stämme die Aktivität solcher Gruppierungen ohne jeden Enthusiasmus registrieren.
Damit nicht genug. Die jüngsten Ereignisse in Bani Walid sehen unter diesem Aspekt auch ein wenig anders aus, als man gewohnt ist, darüber zu hören. Fakt ist, dass die Misurata-Brigaden brutal und rücksichtslos auch unkonventionelle Waffen gegen die Stadt einsetzten, alles Lebendige beschossen, ohne groß danach zu fragen, wer oder was das ist – deshalb auch die enormen Opferzahlen unter den Zivilisten. Ohne diese Banden rechtfertigen zu wollen, kann man nur bitter anmerken, dass eine Revolution generell keine Angelegenheit ist, die ohne viel Blut abläuft oder in deren Zuge “humanistischere” Zeiten eintreten.
Wichtiger anzumerken ist, dass es der Premier war, der den Befehl gab, die salafitischen Gruppierungen aus der Küstenregion zurückzudrängen. Damit waren zwei Aufgaben ins Auge gefasst worden: einerseits die Befreiung der Küstenregion aus den Händen von nicht zu kontrollierenden Banden und andererseits sollten damit die pro-katarischen Kräfte ihres paramilitärischen Machtarguments beraubt werden. Die Einsätze gegen die salafitischen Gruppierungen gab es auch vorher schon – realisiert in erster Linie durch die Misurata-Brigaden – allerdings beteiligen sich nun auch Regierungstruppen daran.
Und das ist der Punkt: eine gewisse Zahl dieser salafitischen Einheiten zog sich nach Bani Walid zurück. Selbstverständlich, ohne die Bewohner um Erlaubnis zu fragen, welche sich ohnehin wohl noch nicht von den schrecklichen Ereignissen des vergangenen Jahres erholen konnten. Eine der Salafitenbrigaden wurde überhaupt erst in Bani Walid ins Leben gerufen. Zu Gesprächen mit dieser wurden demnach die Gaddafi-Mörder gesandt, und von diesen ist der halbstarke Spinner, der mit der goldenen Pistole des Oberst posierte, dann auch erledigt worden. Die Sache ist ja die. Man kann schon jung und dumm sein, das gibt es. Aber nur ein vollendeter Idiot begibt sich in eine Stadt, die von Leuten bewohnt wird, deren Blutrache man verfallen ist. Da er sich also dahin begeben hat, wird er wohl sicher gewesen sein, dass ihn dort wahrscheinlich niemand des Gaddafi-Mordes wegen etwas anhaben wird. Mehr noch, Ben Schabaan muss sich eigentlich sicher gewesen sein, dass die Sache glimpflich ausgehen wird.
Das ist sie denn wohl, die ganze traurige Geschichte dieser unglücklichen Stadt Bani Walid. Angegriffen wurden dort nicht so sehr irgendwelche vermeintlichen “Gaddafi-Anhänger”, sondern salafitische Kommandos, die sich dort verschanzt hatten. Die unglaubliche Brühe in den Köpfen und auf Internet-Portalen von fernen Aktivisten, plus Aufnahmen aus Sirte vom vergangenen Jahr, wo noch die grünen Fahnen wehten, dazu die Mär vom abermaligen Tod des Khamis Gaddafi und des Moussa Ibrahim – Geschichten, die übrigens von der neuen libyschen Regierung verbreitet worden sind: wozu wohl? – all das ergab zusammen ein Bild, in dem ein “grüner Widerstand” heldenhaft gegen die Feinde Gaddafis kämpfte. Allein so war es wohl kaum.
Wenn diese nach Ockhams Rasiermesser doch recht nahe liegende Annahme einigermaßen zutrifft und die Agenda so weitergeht, so werden wir bald Nachrichten vom heldenhaften Widerstand sich plötzlich irgendwoher materialisierter Gaddafi-Anhänger in Sabha hören. Auch dort haben sich nämlich in den vergangenen Monaten die Salafiten und, wie man hört, Einheiten der libyschen AQMI befestigt. Und auch mit denen muss der neue Premier über kurz oder lang etwas unternehmen, anders gesagt, bald werden wahrscheinlich wieder neue “grüne Legenden” kursieren. Und irgendwann, wer weiß, kommen vielleicht auch endlich die zigtausend Tuareg an, die sich im vorigen Jahr irgendwo in Luft aufgelöst haben.