Während die westliche Welt und die „Zitadelle der Freiheit“ auf einen Angriff auf Syrien drängen, bleibt Russlands Position zu Syrien schwach und schlecht artikuliert: hat Russland Syrien bereits stillschweigend aufgegeben?
Die Sitzung des UN-Sicherheitsrats am 30. Mai zur Syrien-Problematik ist ein weiterer Schritt in einem offensichtlich vorher so geplanten Szenario gewesen, das – für Syrien – letztlich mit einem Überfall einer Allianz jenseits der UNO enden soll. Die vermeintliche „Hilflosigkeit“ der UNO wurde auf diese Weise noch einmal demonstriert und so der Boden für eine „Lösung“ unter Umgehung des Sicherheitsrats gelegt, wie die US-amerikanische UN-Botschafterin Suzan Rice auch gleich danach unzweideutig formuliert hat.
Unter anderem der Katar legt mit den Amerikanern einen Resolutionsentwurf vor. Natürlich. Es fehlt nur noch Vanuatu in der Koalition der Willigen, wie weiland im Irak.
Wenn aber der Sicherheitsrat von vornherein „im schlimmsten Fall“ ausgeschlossen werden soll, so wird jedwede Verständigung auf der Ebene des Völkerrechts sinnlos. Es gilt einfach nicht mehr.
Zum heutigen Zeitpunkt gewinnen die Autoren des Umsturzes in Syrien haushoch im Informationskrieg gegen ihre Opponenten. Waffen jeden Kalibers werden aufgefahren, es geht bis in die Details, unter denen zum Beispiel eine Story des Spiegels ist, der in Damaskus Soldaten mit Zangen gesehen haben will, welche so die Ladenbesitzer zum Öffnen ihrer Läden zwingen sollen, womit eine Art unbekümmerter Alltag inszeniert werden soll. Das ist allerdings nichts als eine Abstufung der „Brutkastenlüge“ oder der Geschichte mit dem Viagra für Gaddafis Soldaten. Himmelschreiender Unsinn, aber innerhalb eines Informationskriegs, der auf die Masse und ihren kleinsten gemeinsamen Nenner abzielt, taktisch natürlich richtig. Da gilt es nichts, dass es Kontakt zu Journalisten und einfachen Leuten vor Ort in Syrien gibt, dass diese Zeugnis davon ablegen, was wirklich vor sich geht. Keine Chance.
Das Massaker in Al-Hula markiert den Beginn einer neuen Etappe in der Eskalation, und man hat den Eindruck, als gäbe es keine Macht der Welt, die diese Provokation als solche an die breite Öffentlichkeit bringt. Der UN-Sicherheitsrat spielt das ihm vorgesetzte Spiel mit den „Verbrechen des Regimes“ mit, auch, wenn schon der gesunde Menschenverstand eine Untersuchung der Ereignisse vor irgend einem Urteil fordert.
Informationen aus erster Hand (es waren ja Journalisten in Al-Hula, die gefilmt und dokumentiert haben!) konnte man relativ problemlos im Internet finden, aber es fällt auf, dass z.B. die „Welt“ Rückverweise auf diese Zeugnisse mit dem lapidaren Kommentar löscht, man wolle nicht «auf diese Seiten» verlinken.
Es sieht danach aus, als stehe der Plan Kofi Annans, wie geplant, kurz vor seinem Scheitern. Syrien vor dem Zerfall. Die Bedrohung einer Aggression aus dem Ausland hängt in der Luft.
Dabei ist eine Militärintervention tatsächlich eine letzte Möglichkeit für die neuen Kreuzfahrer, Syrien kann man schwerlich ohne direkten Kontakt, nur mit Raketen und Bomben, in die Knie zwingen. Um den am Boden operierenden Bandenformationen eine spürbare Hilfe zu erweisen, bräuchte die NATO, verschiedenen Schätzungen zufolge, den ständigen Einsatz von mehreren Hundert Bombern, die Sache mit der Küste ist auch nicht geklärt, und bei der derzeitigen Kräfteverteilung ist mit signifikanten Verlusten zu rechnen.
Der Sturz Baschar al-Assads, der übrigens durch die Aktivität der Terrorbanden mehr denn je Unterstützung durch die syrische Bevölkerung genießt, wäre nur durch eine direkte Intervention, das heißt mit am Boden operierenden Einheiten, möglich. Und deren Zahl sollte nicht zu knapp sein. Das bedeutet potentiell Verluste, die höher sind als die, welche der Westen bei der „Befreiung“ Afghanistans und des Iraks in Kauf nehmen musste. Deswegen steht dieser Tag X zwar bevor, aber wahrscheinlich noch nicht in den nächsten Wochen. Der Westen wird noch einige Anstrengung unternehmen, und diese Anstrengung wird vornehmlich auf Russland abzielen. Nicht so sehr „Russland und China“, als vielmehr und gerade Russland, dessen Einverständnis mit dem Regimewechsel in Syrien für den Westen als wichtig angesehen wird. Wenn Moskau seine Unterstützung aufgibt, werden die Chinesen nicht allein bleiben wollen, denn deren strategisches Interesse an Syrien ist minimal.
Unter Druck ist heute also vornehmlich die russische Führung. Angela Merkel verspricht, Putin bei seinem Besuch heute von seiner Haltung zu Syrien „zu heilen“, Westerwelle verlangt das „Einlenken“ Putins. Was soll man da noch von den Transatlantikern reden, die mit Schaum vorm Mund fordern, die Unterstützung für das „blutige Regime“ aufzugeben. Noch haben diese Forderungen keinen sichtbaren Effekt, aber auf der oben erwähnten Ebene des Informationskriegs verliert Russland und die russischen Medien. Es fehlt ihnen an der Aggressivität, durch welche sich die westlichen Medien auszeichnen. Dabei hält die Arbeit der russischen Nachrichtenagenturen keinerlei Kritik stand, so dass man auf die mutigen Jungs und Mädels von der bis dato recht unbekannten Agentur ANNA-News angewiesen ist.
Die russische Position macht unter den gegebenen Umständen einen fast schon fatal schwachen Eindruck. Man kommt um die Vermutung nicht herum, dass die russische Führung Syrien bereits stillschweigend aufgegeben hat. Stillschweigend, weil Putin immerhin auf einer patriotischen Welle der Russen wiedergewählt wurde, und dieses Potential kann für den Kreml nicht offen verloren gegeben werden.
Aber anstelle dessen, dass die antisyrische Hysterie des Westens scharf verurteilt wird, kommt Russland mit schwammigen Phrasen davon, was unter den jetzigen Umständen einem Verrat an Syrien gleichkommt.
So hat zum Beispiel der russische UN-Repräsentant Witali Tschurkin verkündet, dass die Weltöffentlichkeit „ernsthafte Forderungen an die syrische Regierung im Zusammenhang mit dem nicht vollständig erfolgten Rückzug schwerer Waffen aus den Städten und der Nichtanwendung von Gewalt gegen Wohnviertel“ hat.
Auf diese Weise anerkennt Russland faktisch die Verantwortung der syrischen Führung für das Massaker in Al-Hula, denn der Akzent des Westens ist ja gerade die schwere Bewaffnung, welche dem Annan-Plan zuwider läuft.
Die Fähigkeit, Syrien auf internationaler Ebene gegen Aggressoren zu verteidigen, wäre nicht nur aus geopolitischen Motiven heraus wichtig für Russland. Syrien aufzugeben hieße, wieder einmal den Ärger hinunterzuschlucken und die eigenen Interessen zu vergessen und dabei fest im Griff des Komplex einer „Unzulänglichkeit“ auf internationaler Ebene zu verbleiben, die seit Jelzin die russische Führung heimsucht. Es ist nicht so lange her, da haben die Russen voller Scham und Niedergeschlagenheit auf die Bilder der NATO-Bombardements im blutsverwandten Serbien schauen müssen.
Es ist leider ernsthaft zu befürchten, dass die für den Kreml inzwischen gewohnte Politik der Aufgabe seiner Verbündeten auch in Syrien greift. Wenn das wirklich passiert, wird es kaum noch zu verhindern sein, dass es im gesamten Nahen Osten bald einen Großkrieg geben wird.