Dieser Tage gewinnt man den Eindruck, die friedliebende Weltgemeinschaft verwandele sich immer mehr in eine wild gewordene Hundemeute, die zwei ihrer unpässlichen Artgenossen in die Ecke gedrängt hat und sich nun überlegt, welchen der beiden sie zuerst zerfleischt.
Gestern und vorgestern hat die Meute der verkumpelten Golfmonarchien sich gemeinsam daran gemacht, ihre diplomatischen Beziehungen zu Syrien abzubrechen. Am Mittwoch hat Saudi-Arabien seinen Botschafter und das gesamte Botschaftspersonal zurückgerufen, gestern haben Bahrain und Kuwait das gleiche angekündigt.
Die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, als SWIFT bekannt, kündigt an, ab Samstag den kompletten Finanzsektor des Iran abzuschalten. Das ist eine vollkommen neue Situation, etwas Derartiges hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Geld und Banken sind in der westlichen Wertegemeinschaft derart heilig, dass man es normalerweise nie zulassen würde, diesem System irgendwelche Hindernisse oder Scherereien zu bereiten. Offenbar waren die Argumente, die man der Führungsschicht der SWIFT vorgelegt hat, so überzeugend, dass wir nun hinsichtlich des Iran vor diesem Novum stehen.
Bisher kann man alle Aktionen, die gegen Syrien und den Iran vorgenommen werden, noch als Versuche verstehen, die jeweilige Situation im Landesinneren zu destabilisieren. Allerdings sind das sehr entschlossene, aufwändige und zielgerichtete Aktionen. In Syrien sind das wirtschaftliche Methoden in Kombination mit einem Terrorkrieg, im Iran momentan fast nur wirtschaftliche Methoden mit selektiven Anschlägen, etwa gegen Wissenschaftler aus dem Atombereich. Das Ziel ist klar – eine Destabilisierung bis hin zu einem Zustand, der eine – wie auch immer geartete – entschiedene Unzufriedenheit der jeweiligen Bevölkerung bedeutet. Ein wenig erinnert das im Ansatz an den Film „The Game“ mit Michael Douglas, wo der Protagonist von seinen Freunden ein einzigartiges Geschenk bekommt – ein Spiel, in dessen Verlauf ihn die Freunde jagen, seine gewohnte Welt zusammenbrechen lassen und ihn schließlich zum Selbstmord bringen. Und in diesem letzten Moment wird er vor dem Tod bewahrt, die Freunde gratulieren ihm herzlich zum Geburtstag.
Hier haben wir ein ähnliches Szenario, nur wird es am Ende keine Gratulationen geben; niemand will irgendwen vor dem Tod bewahren. Bei all dem Chaos, das es um Syrien und den Iran gibt, kann man eine klare Linie erkennen – beide Länder werden konsequent und zielgerichtet geschwächt. Später wird es eine Entscheidung geben müssen: entweder gedeiht die innere Situation bis zu einer Implosion, und dann müsste der Westen nur hier und da ein wenig Öl ins Feuer gießen. Oder die Bevölkerung legt einiges an Geduld und Leidensfähigkeit an den Tag, die Machthaber bleiben an der Macht – dann würde die Frage mittels direkter Aggression geklärt werden müssen. In diesem Fall verspricht ein vorab geschwächter Gegner natürlich eher Erfolg, obwohl der Westen seit dem Zweiten Weltkrieg keinen solchen Gegner hatte wie den Iran. Es gibt aber auch keinerlei Illusionen bezüglich der Probleme und Schwierigkeiten eines solchen Kriegs. Das permanente Pumpen von Propaganda, welche die Öffentlichkeit glauben lässt, dass „wir“ den Iran einfach nur ein paar Mal anzuspucken brauchen, ehe er aufgibt, steht in keinem Verhältnis zum Umfang der realen Kriegsvorbereitungen und damit der Sorge um den Ausgang dieses Konflikts.
Offenbar kann man die derart dynamischen, systematischen und enormen Anstrengungen, die man zwecks der Destabilisierung Syriens und des Irans unternimmt, gar nicht mehr anders interpretieren, als dass die Entscheidung über einen Angriff längst getroffen ist und nicht mehr diskutiert wird. Es stellt sich nur noch die Frage nach den Methoden und den Fristen.
Dabei zieht der Westen natürlich Schlüsse aus den vergangenen Weltkriegen und ist sich dessen bewusst, dass ein Weltkrieg – und die Konstellation ist heute eine, die genau darauf hindeutet! – immer ein Konflikt zwischen Staatenblöcken ist. Zwischen Koalitionen. Und genau dadurch ist ein Weltkrieg in seinen Perspektiven so wenig vorhersehbar. Objektiv haben wir heute um Syrien die Opposition zwischen dem Westen und seinen Verbündeten gegen ein paar durchaus starke, aufstrebende Länder – Iran, Russland, China, Pakistan (den Libanon muss man hier mit erwähnen, dieser ist im Hinblick auf den Nahen Osten absolut wichtig) – und deren Potential macht eine künftige Konfrontation zu einer heiklen Sache.
Die Blockbildung ist in vollem Gange, dazu zählt auch und besonders der „arabische Frühling“. Eigenständige, unabhängige (das heißt: blockfremde oder feindliche) „Diktaturen“ werden gestürzt, in eine fortdauernde Instabilität gestoßen und, was die neue Machtelite angeht, in einem wahhabitischen, von den Golfmonarchien dominierten Konglomerat zusammengefasst. Dieses extremistische, teils religiös-fanatische Konglomerat wird nicht ohne Grund vom Westen unterstützt. Das Märchen von der Demokratie und Freiheit glauben ohnehin nur vollkommen Ahnungslose. Es bildet sich vielmehr ein Vorposten, einen Stachel im Fleisch der oben angeführten „antiwestlichen“ Koalition, und für die lange Sicht soll hier vor allem ein Block gegen die Expansion der chinesischen Dominanz entstehen. Hie und da sieht man noch ein Rütteln – wie zum Beispiel letzte Woche bei Westerwelle, der ganz im Sinne dieser Blockbildung unverhohlen meint, Russland stünde auf der falschen Seite der Geschichte.
Das militärische Potential des Westens ist extrem hoch. Allerdings haben die ihm Paroli bietenden Länder (auch, wenn sie noch zu keiner formalen Koalition zusammengefunden haben) das, was der Westen nicht besitzt, nämlich Ressourcen. Das sind nicht nur Rohstoffe, sondern auch Infrastruktur und Menschen.
Die Logik gebietet es dem Westen, jetzt in Richtung einer Spaltung der sich abzeichnenden, ihm widerstehenden Koalition zu arbeiten. In diesem Sinne ist der Iran das schwächste Glied der Kette. Der Iran ist tatsächlich von Sanktionen geschwächt, aber auch von der nicht allzu weisen Wirtschaftspolitik des Präsidenten Ahmadinedschad. Ideologisch ist der Iran ziemlich unflexibel und schon allein aus diesem Grund kein Koalitionspartner, der in einer solchen Koalition allzu leicht Kompromisse eingeht.
Auch, was Russland angeht, nutzt der Westen seine Möglichkeiten, um die noch unfertige Koalition vorab zu zerschlagen. Die russische Führung hat, eine nach der anderen, ihre Positionen im Nahen Osten aufgegeben. Normalerweise wäre nämlich die russische Position zu Syrien vollkommen normal für ein Land, das seine Interessen gewahrt wissen will – sie hat aber vor dem Hintergrund des ständigen Rückzugs in den letzten Jahren eher den Anschein einer plötzlichen, unbegreiflichen Unbeugsamkeit. Man kann sich nur fragen, ob das ein Paradigmenwechsel oder eine zufällige Fluktuation ist.
Genau aus diesem Grunde versucht der Westen jetzt, aus Russland das Einverständnis zu einer Einmischung in Syrien herauszupressen. Das wäre noch eine Bruchlinie in der sich abzeichnenden Koalition.
Kurzum, bei aller Komplexität der momentanen Situation sieht es so aus, als sei die endgültige „Deadline“ bezüglich des Iran der Moment, an dem China, Russland, der Iran und Pakistan die Notwendigkeit eines Bündnisses untereinander einsehen, die sich aus der Umgestaltung der bislang bestehenden Weltordnung ergibt. In diesem Moment wird der Westen verpflichtet sein, den Iran anzugreifen, ganz ungeachtet der Folgen und der Verluste. Ganz einfach deshalb, weil die Bildung einer Koalition, die dieser neuerlichen Entente entgegensteht, die Erfolgsaussichten letzterer auf eine letztendliche Dominanz doch ziemlich problematisch erscheinen lässt. Die heutige Geopolitik ist längst nicht mehr von den Interessen einzelner Staaten geleitet, sondern durch die Interessen von Staatengruppen, und der Westen kann die Konsolidierung einer ihm entgegenstehenden Staatengruppe nicht zulassen.
Das Unterpfand des Erfolgs für den Westen ist es, jeden widerborstigen Staat einzeln auszuschalten. Sonst trüben sich seine Erfolgsaussichten nachhaltig und für lange Zeit.