Tschuktschen. Das einzige der nördlichen Völker, mit denen das Russische Reich seinerzeit gezwungen war, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen.
150 Jahre des Kriegs mit einem Volk, das nicht wusste, was Eisen ist und keine Staatenbildung kannte, nicht einmal andeutungsweise. Die Tschuktschen, über welche es zu Zeiten der Sowjetunion eine ganze Kategorie von Witzen gab, waren trotz alledem die einzigen im Norden, welche den Russen zumindest eine Zeitlang Paroli zu bieten vermochten.
Später, nach dem Friedensvertrag, wurde das Tschuktschenland durch Geschenke, Versprechen und Diplomatie trotzdem noch zum russischen Territorium. Aber noch sehr lange Zeit betrachteten die Tschuktschen nur sich als „echte Menschen“ („Luoravetlanen“) und allen anderen als überlegen.
Dann kam zwar irgendwann die Sowjetmacht, welche die Tschuktschen auf die sowjetische Art zivilisierte: Sesshaftigkeit, Schriftsprache, Medizin, Schulen und solche Dinge. Aber die Tschuktschen hielten sich trotzdem nicht allzu sehr für Sowjetbürger. Ganz ungeachtet der Staatsgrenze wanderten sie hin und her nach Alaska, zu Besuch und um Handel zu treiben. Es waren ja nur 86 Kilometer bis hinüber. So lief das bis zum Jahr 1947. Im Oktober dieses Jahres kam es zu einem Konflikt im Kontext dieses Handelswesens. Jedenfalls bauten die Tschuktschen schnell eine kleine Eingreiftruppe auf und überfielen die Ortschaft Wales in Alaska, wo diverse Eskimostämme hausten. Einige Dutzend Tote, verschleppte Frauen – alles, wie es sich geziemt. Erst die Androhung des Einsatzes US-amerikanischer Marineinfanterie ließ die Tschuktschen damals das Feld räumen.
Selbstverständlich gab es seitens der Amerikaner eine entsprechende Note an die UdSSR, Überfälle auf Zivilbevölkerung seien nicht hinnehmbar und so weiter. Dieser Note wurde durch die Entsendung von US-amerikanischen Flottenverbänden und Luftwaffe Nachdruck verliehen. Stalin gebot seinerseits die Stationierung der 114. Luftlandedivision im Tschuktschenland. Auf Seiten der Sowjets wurden die Verantwortlichen für den Überfall auf den Ort in Alaska gesucht. Aber versuche mal, jemanden in der Tundra zu finden..
Jedenfalls beschlossen die sowjetischen Kommunisten und die amerikanischen Kapitalisten, die Sache nicht an die große Glocke zu hängen und schrieben alles auf eine Rauferei unter besoffenen Aboriginees ab. Und sich in deren Sitten einmischen geht ja nicht. Die Amerikaner baten die Sowjets jedoch darum, „ihre Leute“ etwas besser im Zaum zu halten. Woran Moskau sich auch stehenden Fußes machte.
Ab 1948 galt für alle Tschuktschen (wie für jeden Sowjetbürger auch) die Meldepflicht, und wer keine Papiere besaß, wurde umgehend zwangsregistriert. So kommt es, dass die Tschuktschen bis 1948 de facto ein unabhängiges Volk auf dem Territorium der Sowjetunion waren.